Samstag, 9. Juni 2012

Das Duell auf der Totensteige

krimiblog.de diskutiert mit Killer & Co von der Stuttgarter Zeitung in Facebook über die Frage, warum Totensteige nicht in der KrimiZeit-Bestenliste auftaucht.

krimiblog.de : Totensteige / Christine Lehmann: Ein- und Widerspruch, Prostest sowieso. Behäbig? Wir haben wieder unterschiedliche Romane gelesen. „Totensteige“ ist rasant erzählt, auch im Vergleich zu den Vorgängerromanen mit der werten Lisa Nerz. 
     Wunderbar: Es ist nicht Action um der Action willen, sondern Frau Lehmann schafft es, mindestens eine zweite Leseebene dem Leser zu offerieren. Ich kann den Text als schnell geschnittenes Action-Spektakel lesen und viel Freude damit haben. Ich kann ihn aber genauso auch als ironisch gebrochenes Spiel mit genau diesem Action- und Polit-Thriller-Genre lesen, bei dem dessen Mechanismen deutlich werden, ohne sie vorzuführen. Ein wundervolles Wechselbalg ist dieser Roman, der mühelos beim Lesen zwischen Hommage und Parodie wandelt und schwebt, der Hauptfigur entsprechend.
     Aber noch mehr: Die imaginative Kraft einer Christine Lehmann ist strahlender denn je. Als kürzlich Francois Hollande zum Antrittsbesuch bei Frau Merkel abhob und sein Flugzeug vom Blitz getroffen wurde, blitzte in meinem Kopf kurz eine lächelnde Lisa auf. Als der Virus „Flame“ die mediale Runde machte, war der – im Roman sterbende – Computerhacker in meinem Kopf, Obama ohnehin.
     Lehmanns Text schafft etwas, was nur wenige Texte schaffen: Er spinnt sich in meinem Leben fort. Die kritischen Töne zu Medienhype, Hysterie und falschem Zauber wirken nach. Nein, „Totensteige“ ist nicht behäbig – auch nicht im Kontext der Serie – der Roman ist klug komponiert, exakt getaktet und eine glaubhafte Weiterentwicklung der Figur Lisa Nerz. Das ausgerechnet diese Figur, die ja auch außerhalb ihrer Bücher bei Facebook und im Blog exisitert, an diesen, von Ihnen beschriebenen Listen-Regularien, scheitert, spricht nicht für die Machart der Liste.
      Herzlichste Freitagsgrüße
vor 23 Stunden · Gefällt mir nicht mehr · 2

Killer & Co.: Lieber Ludger Menke, ich will "Totensteige" keinesfalls schlecht reden. Ich habe den Roman gern gelesen, habe ihn ungezwungen positiv besprochen, empfehle ihn auch gern persönlich und fände es keinen Schnitzer, wenn er auf der Liste stünde.
Ich überlege nur, wie es kommt, dass er dort nicht steht. Ob es dafür eine andere Erklärung als die simple gibt: keiner aus der Jurorenschar mag das Buch
Aber ich tue mich - zumindest als Juror - immer ein wenig schwer mit den vielen Serien. Soll man die durchvoten, Band 4 und Band 5 für die Liste empfehlen, wo man doch schon Band 3 so toll fand? Dann wäre die Bestenliste schnell sehr monoton.
Vorm Weglassen nach dem Motto pars pro toto - alle paar Bände mal wieder einen stellvertretend empfehlen - schrecke ich dann aber auch zurück, weil's willkürlich wirkt, gar wie ein Tadel beim jeweils nicht getippten Band. Ich vermute, ich bin nicht der einzige Juror, dem's so geht.
In dieser Situation bin ich dann froh, wenn mir ein bestimmter Band einer Serie einen klaren Grund liefert, warum ich ihn diesmal nicht in meine Top-4 nehme. Im Zusammenhang der Serie habe ich für „Totensteige“ viel Sympathie. Mir ist es einerseits viel lieber, dass Christine Lehmann diese Entwicklungen und Experimente wagt. Lieber, als dass sie noch ein flottes, kompaktes, wortwitzknisterndes, konfrontationsbewusstes Meisterstückchen liefert, das mit dem vorvorigen flotten, kompakten etc. Meisterstückchen austausch- und verwechselbar wäre.
Der Preis, den sie in meinen Leseaugen dafür bezahlt ist aber, dass „Totensteige“ ein wenig unrunder läuft, gewachsene Probleme des Weltentwurfs (für mich vor allem: das Erklärbärhafte des Staatsanwalts und dessen komfortable Zugangsbeschaffungsfunktion) deutlicher hervor treten lässt, dass Rationalität und Grand Guignol (noch) nicht ganz zusammengehen, etc. Sie haben das Buch offensichtlich anders erlebt. Wie gesagt, das sind alles Kleinigkeiten. Wäre das der erste Krimi Christine Lehmanns, oder der erste , der sich aus einer bis dato bieder-konventionellen Serie herausgelöst hätte , wäre ich wahrscheinlich haltlos begeistert. So aber, s.o., ordne ich den bei mir eher auf Platz 5 oder 6 der Bestenliste ein, mit dem gestern schon geschilderten Ergebnis.
Jeder mögliche Abstimmungsmodus hat seine eigenen blinden Flecke und toten Winkel. Ich glaube nicht, dass die Liste dadurch völlig absurd wird. Aber in diesem Punkt sind wir ja schon seit beinahe Listenanbeginn unterschiedlicher Meinung.
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krimiblog.de: Stellen Sie sich bitte ein freundliches Schmunzeln auf meinem Gesicht vor, lieber Thomas Klingenmaier. In Ihrer Antwort finde ich zahlreiche Argumente, weshalb „Totensteige“ auf die Liste gehört. Brüche, Experimente, Neues, Überraschung auch im zehnten Band einer Serie. Welcher Autor bekommt das schon hin? Das Unrunde – gerade bei der Figur des Staatsanwalt, mir kommt der eben in seinen Brüchen sehr bekannt vor – konnte ich in der Tat nicht entdecken.
Setze ich das alles in Bezug zur aktuellen Liste, frage ich mich schon, warum etwa eine Fred Vargas ein Dauerabo für ihre Serie hat, obwohl sie nichts Neues wagt, ästhetisch die, freilich breit gefächerten, aber altbekannten Mechanismen abspulen lässt. Ein Vargas-Buch, auch das letzte, überrascht mich nun überhaupt nicht mehr. Das es gut unterhält steht außer Frage. Noch gravierender fällt für mich auf der aktuellen Listein John Hart ins Gewicht. Das ist konventionelle Massenware. Aber ja: eine Liste ist eben nur eine Liste.
Einen sonnigen Samstag wünsche ich Ihnen


Christine Lehmann dankt für den aufschlussreichen Disput.