Donnerstag, 21. Juni 2012

Die Ohnmacht der Weltverschwörung

Es ist in diesem Krimi, Totensteige,  nie wirklich um Parapsychologie gegangen, sondern immer und von Anfang an um den Spuk der Medien. Es geht darum, was Journalisten ohne böse Absichten mit der Wahrheit machen, wie sie sie verkennen, verbiegen und zum Geldverdienen einsetzen. Auch Journalisten kennen die Wahrheit nicht, aber sie kennen viele Leute, die ihnen ihre Wahrheit erklären und sich dabei zuweilen zu Fachleuten auf Gebieten aufwerfen, in denen sie nicht Bescheid wissen. Die Unmenge Wissen, die uns zur Verfügung steht, schafft Glaubende, weil niemand mehr beurteilen kann, von welchen Interessen dieses Wissen zu welchen Zwecken zur Gewissheit erklärt wird. In Totensteige geht es um den missionarischen Eifer derer, die glauben, sie kennten die Wahrheit. Ein Eifer, der seit jeher tödlich ist. Es geht um das Wechselspiel zwischen Medien und Rezipienten. Die einen liefern Skandalisierungen, die anderen wollen sie und machen mit. Aus dem Schmetterlingsflügelschlag kleiner Ungenauigkeiten und Lügen im Journalismus wird plötzlich ein globaler Orkan, an dem sich alle beteiligen. Und nicht einmal die Weltverschwörung (in Gestalt der Wartegg-Konferenz) ist hier Antreiber und Täter, sondern selbst die wird getrieben von den Fiktionen, die von den Medien in selbstorganisierenden Prozessen zu Wahrheiten erklärt werden und urplötzlich eine drastische Lösung verlangen. (Christine Lehmann)

Krimi-Couch / Leserunde 12/IV Totensteige
Totensteige - der zehnte Lisa-Nerz-Krimi